"Die eine wahre Sache gibt es nicht." Ernie H.

"Wenn die Seele bereit ist, sind es die Dinge auch.“ Billy S.

10 Juli 2010

Die unbequeme Religion

Ein entscheidender Unterschied zwischen der Bibel und dem Koran ist, daß während die meisten Christen die Bibel als Geschichtensammlung wahrnehmen, der Islam den Koran weitestgehend als das wahre Wort Gottes ansieht.

Konkrete Lebensregeln zum Beten, Waschen, dem Umgang mit Geld, der Ausübung des Glaubens und vielem mehr machen es derweil nicht leicht, Moslem zu sein. Leicht macht es sich das Christentum mit der Ausgrenzung des Islam. Der Hadith „Die Meinungsverschiedenheit in meiner Gemeinde ist ein Zeichen göttlicher Barmherzigkeit“ spricht eine andere Sprache, wie auch die Sure „Kein Zwang im Glauben“ ein deutlich friedlicheres Bild dieser Religion vermittelt.

Während Christen Moslems in der Geschichte überwiegend im besten Fall vertrieben, im schlechteren schlachteten, kamen die Christen (und Juden und Hindus) unter den Moslems mit einer Steuer davon und konnten ansonsten ihrem Leben und ihrer Religion weitestgehend unbehindert nachgehen.

Der Islam hat eindeutig mehr Respekt vor der Bibel, vor jeder heiligen Schrift, als es umgekehrt dem Koran gegenüber der Fall ist. Zum Hikam des Ibn Ataullah „Ein Zeichen dafür daß Gott dich irgendwohin gestellt hat ist, daß er dich dort bleiben läßt und du gute Frucht bringst“ ist in seiner Schönheit und Poesie, und seiner friedlichen, toleranten Weichheit, der berührenden Einheit aus Gedanke und Sprache, in der Bibel kaum eine vergleichbar beeindruckende Formulierung zu finden.

Nun ist klar, was das Gegenargument ist: ja der Gihad! Der Glaubenskrieg, der heilige Krieg. Doch was bedeutet das Wort wirklich? Der Krieg ist ein Kampf. Eine Anstrengung um den Glauben. Um den eigenen (nämlich „sich so sehr anzustrengen, wie es einem möglich ist“). Viele auch moderne Moslems fasten. Und das ist ein Kampf. Ein Kampf mit sich selbst. In dem man sich bemüht, zu sich zu kommen. Alle anderen Auslegungen deckt der Koran selbst explizit nicht, der ja Mohammed (in den direkten Worten Gottes) als „Barmherzigkeit der Welten“ beschreibt.

Bedenkt man die unzähligen Greueltaten, die in der Geschichte im und mit Duldung des Christentums erfolgten – von der Inquisition über die Kreuzzüge bis zum Holocaust und Kindesmißhandlungen, dann relativiert sich einiges: Fehlgeleitete, so verurteilenswert sie immer sind, egal wann und wo, gibt es eben überall, sie sind kein Monopol einer einzigen Religion.

Und auch was das Verhältnis zu Frauen angeht, stehen sich die beiden Religionen ja in wenig nach: der römisch-katholische, der orthodoxe, der mormonische Umgang mit Frauen macht ebenfalls nicht gerade Werbung für die jeweilige Auslegung der Dinge, ist ebenso gefangen in atavistischem, anachronistischem Verständnis einer vormittelalterlichen Zeit, wie es leider Teile des Islam eben auch noch sind. Aber wer hat da auf wen mit dem Finger zu zeigen, bevor er erst mal im eigenen Laden aufräumt.

Auch der Islam war und ist bemüht, gewisse Unstimmigkeiten zwischen seinen historischen Ursprüngen und der Neuzeit zu überwinden: so z.B. schon im 9. Jhd. Al-Asari, 100 Jahre später Al-Biruni, gefolgt von Ibn Tufail und Ibn Rusd, im Mittelalter Ibn Arabi und Ibn Khaldun und vor allem Ibn Taimiyya, bis hin zu Muhammad Abdul Wahhab und Sah Waliullah im 18. Jhd., dem großen Panislamisten Gamaluddin Afghani, in Indien Muhammad Iqbal, Sir Sayyid und Syed Ameer Ali, in der Türkei u.a. Ziya Gökalp, und im 20. Jhd. v.a. die Ägypter.

Es waren und sind die Imame (oder Kalifen), nicht der Koran, die es mancherorts schwer machten und machen, Glaube und Realität in Einklang zu bringen. Wie in der katholischen Nomenklatur sind es die Würdenträger mit der vermeintlichen Deutungshoheit, die den Glaubenden das Leben schwer machen, nicht die Botschaft, die Praxis des Glaubens selbst.

Die Gottesdefinition im Hadith Qudsi (eines zudem unfertigen, werdenden Gottes) „Ich war ein verborgener Schatz und wünschte erkannt zu werden, so erschuf ich die Welt“ ist von rührender Schönheit und zeigt auf, worum es im Islam im Kern geht: Den Schatz der Erkenntnis in sich zu suchen, sich ihm anzunähern – durch Arbeit an sich selbst . Das ist ein Kampf, ein ‚Krieg‘, der tägliche Gihad, der den Glauben unbequem, weil fordernd macht. Und davor kann man viel Respekt haben meine ich. Es wäre an der Zeit, damit zu beginnen.

P.S.: Was jetzt nicht heißen soll, daß all das Getümmele zwischen Sunniten, Schiiten, Sufisten, Wahhabiten, Hanbaliten, Murgiten etc. etc. dem Weltfrieden förderlich war oder ist – aber auch hier: Der Umgang mit der Bruderreligion Islam etwa hierzulande, in der Schweiz, in Belgien, auf dem Balkan oder in Israel bzw. Palästina ist auch nicht hilfreich. Denkt man z.B. an Spielchen wie die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses im Hickhack mit Orthodoxie und Römisch-Katholisch (und dem Islam), nehmen sich die Christen offenbar wenig, was Zersplitterung, Abgrenzung und Streitfreudigkeit angeht, ganz zu schweigen von den kirchlichen Unsinnigkeiten in den USA untereinander... oder, weltweit verzweigt, z.B. die Eigentümlichkeiten von Kongregationalisten, Neuapostolen, Ernsten, Vereinigern, Unitariern. Und um die dritte große Gottesreligion hier nicht aus der Verantwortung zu entlassen, etwa den nationalreligiösen Rabbi Mordechai Elon, der sich bei seinen Jeschivastudenten zugleich als haßschürender Agitator und Halacha-Gleisner hervortut, oder die ultraorthodoxen jüdischen Siedler im Westjordanland, die sefardischen Mädchen den Zugang zur Schule verweigern.

Ich würde es mit Wasil Ibn Ata und den Qadariten halten: also sinngemäß, bitte, die Welt ist bunt!

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