"Die eine wahre Sache gibt es nicht." Ernie H.

"Wenn die Seele bereit ist, sind es die Dinge auch.“ Billy S.

22 Februar 2010

The Show Must Go On

Silberner Berlinale-Bär für Roman Polanski. Eine erneute Solidaritätsnote aus der Filmwelt für den Vergewaltiger eines 13jährigen Mädchens. Derweil versinkt die katholische Kirche in täglich neuen Offenbarungen sexueller Übergriffe von Kirchenmännern an Kindern. Manche der Opfer leben derweil nicht mehr. Sie haben Selbstmord begangen.

Die Verjährungsfrist für eine Vergewaltigung beträgt in Deutschland (per §177 StGB) 20 Jahre. Der sexuelle Mißbrauch von Kindern verjährt (per §176) bereits nach nur 10 Jahren (bei sexuellem Mißbrauch von Kindern ‚in besonders schweren Fällen‘ ist nach §176 Absatz 3 eine Verjährung auch erst nach 20 Jahren möglich).

Polanskis Tat ist rund 30 Jahre her. Grund genug für viele Weggefährten, Geschäftspartner, Mitarbeiter etc., Polanski einen Persilschein auszustellen. In den USA allerdings, wo Polanski die erwiesene Vergewaltigung beging, ist die Tat des damaligen Mittvierzigers an der Dreizehnjährigen nicht verjährt.

Wie lange kann es dauern, bis ein derart durch die Entgleisung eines Erwachsenen gedemütigter Mensch den Mut aufbringt, über ein solches Schicksal zu sprechen? Manche tun es nie. Sie schaffen es nicht. Sie scheitern daran. Der Freitod Robert Enkes hat viele gerührt, die Selbstmorde von Opfern sexueller Übergriffe stehen selten in der Zeitung. Der Schmerz, die Scham, die Verunsicherung, die Angst, die Verwirrung kann ein ganzes Leben anhalten, ein ganzes Leben belasten, wenn nicht zerstören.

Polanski, dessen Abwesenheit bei der Berlinale ihm und seinem Film fast noch mehr Aufmerksamkeit einbrachte als wenn er hätte anreisen dürfen, hat für einen höchst durchschnittlichen Kommerzthriller, der quasi fast wortwörtlich den Unterhaltungsroman von Robert Harris wiedergibt, einen Berlinale-Bären für die Regie erhalten. Wäre es nicht dieser Polanski, wäre eine solche Auszeichnung auf einem A-Filmfestival undenkbar, ein Skandal, ein Eklat. Wäre es nicht so tragisch, es wäre zum herzhaft lachen. Ein Witz, aber eben leider ein ganz schlechter.

Schon zur Aufführung des Films eine Woche zuvor fanden es von unzähligen Berichterstattern in Print und TV gerade mal ein bis zwei noch erwähnenswert (Danke, Caren Miosga!) weshalb der arme Polanski nicht dabei sein durfte: wegen „Hausarrest in der Schweiz“ (die böse Schweiz!), „der mutmaßlichen Tat“ (böse USA!), „eines Verfahrens“ (die böse Justiz!) und weitere nebulöse, relativierende, bagatellisierende Formulierungen mußten herhalten, um die gute Stimmung nicht zu verderben. The show must go on.

Die unangemessen kurze Verjährung von sexuellen Vergehen an Kindern diesseits des Atlantiks ist das eine Problem. Dazu kommt die Borniertheit der Polanski-Unterstützer und leider offenbar auch einiger Filmjournalisten, die sich wenig für die Fakten und vielmehr für einer der ihren, einen ihrer Helden interessieren als für das Thema selbst. Und es kommt darin eine Haltung zum Ausdruck, die das oft so lange Schweigen über sexuellen Mißbrauch erst möglich macht: Man(n) will sich damit nicht beschäftigen. Also wird es trivialisiert, ‚vergessen‘, verdrängt. Nicht zu selten steckt dahinter die Auffassung, es handele sich doch letztlich um ein Kavaliersdelikt, einen Fehltritt, ein Versehen.

Ein Fehltritt, der töten kann. Und das sogar generationenübergreifend: Nicht selten geben Eltern, die unter einer derartigen Vergangenheit leiden, ihre Leiden an ihre Kinder weiter. Und so weiter.

Deshalb ist es richtig, Polanski nicht zu entschuldigen. Und es ist richtig, daß eine solche Tat in den USA nicht verjährt. Wäre dem auch in Europa so, hätte die katholische Kirche in Deutschland, Irland, Italien (und wo noch?) deutlich weniger unter den Teppich kehren, vertuschen, auf die lange Bank schieben können – es wäre etwas ganz anderes, anstatt nun zu bedauern und ‚Buße zu tun‘, während die versetzten und frühpensionierten Täter für das Recht nicht mehr greifbar sind, die Möglichkeiten einer rechtsstaatlichen Verfolgung zur Verfügung zu haben.

Und eben nicht so, wie es sich die uninformierten Polanski-Unterstützer für den Mittsiebziger wünschen, der seinen unverzeihlichen Übergriff auf ein unschuldiges Kind nie erkennbar bereut hat... Im Gegenteil, wie etwa Martin Amis mit dem Polanski-Zitat „Everyone likes little girls“ dokumentiert hat.

Well, I don't!

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